Von Wasser und Wind: Ligeti, Eggert, Janáček & Messiaen
14. Juli 2018
Der englische Fachbegriff für Bläser lautet Winds, ist also phonetisch sehr mit dem deutschen Wort Wind verwandt. Tatsächlich muss ein Bläser Luft oder eben Wind erzeugen, damit das Instrument ins Schwingen kommt und dadurch Klänge hervorzubringt. Gleichzeitig entsteht beim Spielen eines Blasinstruments Wasser als physikalisches Nebenprodukt. Die beiden mottobildenden Worte sollen in diesem Konzert auch atmosphärisch und bildhaft verstanden werden, nicht zuletzt wegen des Hauptwerks des Abends: In Messiaens Fête des belles Eaux (Fest der der schönen Wasserspiele), das in einem Arrangement für Bläsersextett und Celesta seine Uraufführung erlebt, spielen Wasser und Wind eine große Rolle. Dazu erklingen György Ligetis frühe Sechs Bagatellen für Bläserquintett, Janáčeks singuläres Bläsersextett Mládí (Jugend) und Hämmerklavier XIII von Moritz Eggert.
»Béla Bartók in memoriam« nannte der junge ungarische Komponist György Ligeti die fünfte seiner Sechs Bagatellen für Bläserquintett. Alle sechs Stücke sind im Geiste Bartóks und Strawinskys entworfen. Ausgehend von den volksmusikalischen Prinzipien Bartóks versuchte Ligeti 1953, aus dem beschränkten Tonvorrat, den Wiederholungsformeln und rhythmischen Mustern ungarischer Bauernmusik Stücke von äußerster Prägnanz zu formen (ursprünglich als Teil des Klavierzyklus’ Musica ricercata). Auch in der Bogenform schloss er sich an bartók’sche Prinzipien an. Die erste und sechste Bagatelle fungieren als schnelle Ecksätze, Nr. II und V als langsame Intermezzi, wobei Nr. II das ungarische Tempo rubato verwendet, dem man auch bei Bartók begegnet, während Nr. V eine von Bartók inspirierte Klagemelodie der Flöte über stockende Akkorde stellt. Die beiden Mittelsätze bilden ein Gegensatzpaar aus Scherzi: Nr. IV als Allegretto grazioso, walzerhaft ruhig und singend, mit gedämpftem Fagott und weichen Klangfarben; Nr. V als unbändiges Presto ruvido aus quasi gemeißelten Akkorden im 7/8-Takt.
Als Ligeti diese Stücke im September 1956 nach dem Ungarn-Aufstand in seiner Heimat vorstellte, wurde das Finale zum Stein des Anstoßes. Als zu dissonant verboten die Kulturfunktionäre diese Hommage an Bartók und Strawinsky, während man dem wenig später nach Deutschland emigrierten Komponisten im Westen eben diese Anlehnung an Klassiker der Moderne als »epigonal« vorwarf. Derart ideologisch erstarrt waren die Fronten auch im Kalten Krieg der Musik in den 1950er Jahre. Heute, fern solch ideologischer Erstarrungen, sind die Sechs Bagatellen längst zum Klassiker des modernen Bläserquintett-Repertoires avanciert.
Der Heidelberger Moritz Eggert ist einer der umtriebigsten und interessantesten deutschen Komponisten der Gegenwart. Er ist zudem ein formidabler Pianist und schreibt seit den 1990er Jahren eine Serie unterschiedlichster Klavierstücke unter dem Übertitel Hämmerklavier. Die Nummer Hämmerklavier XIII (Zwei Ostinati) aus dem Jahre 2001 hat er explizit der Celesta zugeeignet und dadurch das sehr kleine Solo-Repertoire für dieses rare Tasteninstrument wesentlich bereichert. Beide Stücke sind sehr flächig und naturgemäß leise und intim; damit sie kontrastieren erheblich zu den flankierenden Bläserwerken.
Zum 70. Geburtstag im Juli 1924 schenkte sich Leos Janáček selbst ein Werk mit dem beziehungsreichen Titel Mládí (Jugend). Es war eine Suite für sechs Bläser, zu der er durch ein Konzert der Pariser Société moderne des instruments à vent in Salzburg inspiriert worden war. Janáček versorgte seinen Biographen Max Brod und den Herausgeber einer Festschrift zu seinem 70. Geburtstag mit Material aus seinem Leben. Das Stöbern durch die Aufzeichnungen seiner Jugend mag so manche Erinnerung in ihm wachgerufen haben, die er in den Sätzen der Suite verarbeitete. Es handelt sich um eine verklärende Rückerinnerung an seine Jugendjahre, wobei der erste Satz im Sinne der beschriebenen Sprechmelodie gleich mit dem Ausruf »Mládi, sláte Mládi« (Jugend, goldne Jugend) beginnt. Daran schließt sich ein übermütiges Rondo an, das von kindlicher Daseinsfreude erzählt. Die zeitgenössische Kritik pries an Mládí die ungebrochene Inspirationskraft des »ewig jungen alten Mannes aus Brno«. Dieses Werk gilt heute als das beste Werk für die Gattung Bläsersextett und ist somit das perfekte Gegenstück zu Messiaens Jugendgeniestreich Fête des belles Eaux.
1937 konnte man in Paris einer ungewöhnliche Uraufführung beiwohnen. Der damals noch junge Komponist Olivier Messiaen führte bei der Expo sein jüngstes Werk auf: Fête des belles Eaux. Es wurde open air gespielt und begleitete effektvoll diverse Wasserspiele, zudem wurden Lichteffekte zusätzlich wirkungsvoll in Szene gesetzt. Fête des belles Eaux ist für sechs Ondes Martenots geschrieben. Die Ondes Martenot waren damals ein noch sehr junges elektronisches Musikinstrument, welches Maurice Martenot Ende der 1920er Jahre erfunden hatte und einige französische Komponisten gleich dafür begeistern konnte. So schrieben neben Messiaen auch Milhaud, Honegger, Jolivet und Koechlin Musik für dieses neue und ungewöhnliche Instrument. Bis heute ist das Instrument sehr rar. Man begegnet ihm selten, offizielle Ausbildungsstätten finden sich nur in Paris, Strasbourg und Toronto. Bis 2003 war die Partitur von Fête des belles Eaux gar nicht publiziert gewesen und rare Aufführungen dieses Stücks gingen exklusiv nur von den Klassen in Paris oder Toronto aus.
Ende 2016 beschloss der Arrangeur Klaus Simon, sich dieses unbekannten Meisterwerks anzunehmen und arrangierte es für Bläsersextett und Celesta mit der Absicht, durch diese gebräuchlichere Besetzung dem Stück ein zweites Leben zu ermöglichen. Der Klang der Ondes Martenot ist vielfältig, sehr oft sehr kantabel, aber auch virtuos. Die sechs Bläser können das alles abdecken, nur in einem Satz war die Hinzunahme einer Celesta notwendig. Möge durch diese Bearbeitung die Fête des belles Eaux aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen, denn es ist Messiaens am größten besetztes Kammermusikwerk, das in seinen langsamen Teilen die berühmte Louange à l’éternité de Jésus seines Quatuor pour la fin du temps vorwegnimmt bzw. in anderer Klanglichkeit dort wieder verwendet.
Eine Konzertproduktion der Holst-Sinfonietta in Kooperation mit der Stiftung für Konkrete Kunst und Deutschlandfunk Kultur. Gefördert vom Kulturamt der Stadt Freiburg und dem Land Baden-Württemberg.
Das Konzert wird von Deutschlandfunk Kultur mitgeschnitten.